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7. Oktober - Welttag der menschenwürdigen Arbeit

Streik in Gräfenhausen als Thema der KAB-Impulsveranstaltung: Den Menschen in die Augen schauen und Vorbei ist noch lange nicht vorbei
„Ich habe meine kleine Tochter, sie ist jetzt zwei Jahre alt, noch nie gesehen. Immer bin ich unterwegs und arbeite, damit es meiner Familie gut geht.“ So berichtet einer der LKW-Fahrer in Gräfenhausen. Ein anderer, etwas älterer Mann erzählt, dass er seine Enkelkinder noch nicht persönlich kennengelernt hat.

Zwei Schicksale von Männern, die in diesem Jahr auf den Autobahnraststätten Gräfenhausen Ost und West an der Autobahn A5 gestreikt haben. Geschichten, deren Leid man in den Augen der Männer sehen konnte und Geschichten, die man im 21. Jahrhundert in Mitteleuropa nicht erwartet. Von diesen Geschichten können die Männer von Gräfenhausen I und II vielfach berichten.

Insgesamt haben im April/Mai und von Mitte Juli bis zum 29. September 200 Männer in ihren LKWs ausgeharrt, um das ihnen zustehende Geld von der polnischen Spedition Mazur zu erhalten. Es handelte sich um eine ausstehende Gesamtsumme von 800.000 Euro. Im April und Mai hat Mazur die ausstehende Summe noch bezahlt. Zuvor jedoch wollte er seine LKWs von einer paramilitärischen Schlägertruppe beschlagnahmen lassen. Das hessische Innenministerium hatte Kenntnis davon, dass diese Truppe sich im Bundesland Hessen in Richtung Gräfenhausen bewegt hat. Nur ein Polizeieinsatz konnte das Schlimmste verhindern. Beim zweiten Streik, dem sog. Gräfenhausen II, kam es zu Strafanzeigen der Fa. Mazur gegen die Fahrer. Am Ende entschieden sich 20 Männer in den Hungerstreik zu treten, denn sie sahen keine andere Lösung mehr, um endlich aus dieser ausweglosen Situation herauszukommen. Gegen Ende gab es Akteur*innen in dem ganzen Szenario, die das nicht länger mitangesehen haben, was dazu führte, dass die Fahrer einen Teil des ihnen zustehenden Geldes bekamen.

Wie konnte all das vor unseren Augen passieren?
Eine kleine Antwort auf diese Frage gab es am 7. Oktober, dem Welttag der menschenwürdigen Arbeit, in Trier.

Die Forderung der Bewahrung von Menschenwürde im Arbeitsleben ist oft noch weit entfernt von der Realität. Auch in unserem Land, in Europa und von der gesamten Welt ganz zu schweigen.

Ingrid Reidt, Betriebsseelsorgerin im Bistum Mainz (Standort Rüsselsheim/Südhessen), Michael Schäfers, KAB Deutschlands, Egbert Ulrich, Arbeitskammer des Saarlandes und Michael Hommer, KAB Neuwied St. Matthias gaben Einblicke in ihre Arbeit und die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate.

Die Impulsveranstaltung begann mit einem Wortgottesdienst in der Jesuitenkirche. Anne Basten, Diözesanseelsorgerin der KAB Trier, hat über die ausbeuterischen Verhältnisse gepredigt, die nicht nur in der Zeit der biblischen Propheten galten, sondern auch heute aktueller sind denn je. Siehe oben.

Ingrid Reidt hat in den vergangenen Streikphasen - so wie viele andere Menschen - die Männer in Gräfenhausen begleitet. Und begleiten heißt: Die akute Not sehen und konkret handeln! Die Männer mussten versorgt werden mit Essen und Trinken, die Männer brauchten ärztliche Versorgung, mussten zum Arzt gebracht werden und, und, und. Ein Netzwerk von Helfer*innen hat Lebensmittel nach Gräfenhausen gebracht und sich auch immer wieder mit den Männern unterhalten, entweder mit Hilfe eines Dolmetschers oder eines digitalen Übersetzungsprogramms.

„Wir müssen den Mensch in der Arbeitswelt sehen! Das klingt profan, aber: Wer tut das schon von uns, wenn er auf einer Raststätte auf der Autobahn steht? Wir sehen bestenfalls den LKW und die Funktion der Fahrer – erwarten, dass unsere Waren pünktlich geliefert und unser Alltag so reibungslos wie möglich verläuft“ so Ingrid Reidt. Wer sieht den Menschen, seinen Gesundheitszustand, seine Familie im Hintergrund? „Wir haben hautnah erlebt, unter welchen Umständen Menschen in der Transportbranche arbeiten und leben, vor Ort im Kontakt mit ihnen. Auch das ist zentral: Wir müssen viel mehr mit den Menschen sprechen und nicht über sie. Unser Job als Betriebsseelsorge und KAB ist: Missstände sehen, sie konkret lindern und sie vor allem politisch verhindern! Das sind die wesentlichen Schritte“ so Reidt weiter. Die Arbeitnehmer*innen, die von prekärer und menschenunwürdiger Arbeit betroffen sind, zu stärken, ist dabei enorm von Bedeutung, wie z.B. auch die Beratungsstelle der Arbeitskammer des Saarlandes das tut.

Egbert Ulrich, Leiter der Beratungsstelle "Wanderarbeit und mobile Beschäftigte" der Arbeitskammer des Saarlandes, berichtet, dass dort in den vergangenen fünf Jahren 4.500 Menschen in den Sprachen Rumänisch, Bulgarisch, Serbo-Kroatisch, Englisch und Ungarisch beraten wurden. Es gibt zunehmend Erfolge auch dahingehend, dass Menschen ihre Rechte vor Gericht einklagen. Aber Ulrich sagt auch sehr deutlich „In Deutschland gibt es viele Arbeitsrechtsverstöße, sei es, dass Lohn schlichtweg nicht gezahlt wird, dass Arbeitnehmer*innen nicht bei der Sozialversicherung angemeldet werden und Menschen Geld für Unterkunft und Verpflegung abgezogen wird. Die Menschen müssen ihre Rechte kennen.“ Er fordert Verbandsklagen und hält eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für notwendig.

Dr. Michael Schäfers, Grundsatzreferent der KAB Deutschlands, ist allem zum Trotz ein bisschen zuversichtlich, was den weiteren Kampf für menschenwürdige Arbeit weltweit anbelangt, denn „Es fehlen in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels LKW-Fahrer*innen in der KEP-Branche (Kurier-Express-Paket) und das wird dazu führen, dass die Menschen, die hierherkommen um diese Arbeit zu verrichten, bessere Arbeitsbedingungen einfordern können.“

Und doch braucht es noch einen sehr, sehr langen Atem um die prekären Arbeitsbedingungen bei uns, in Europa und weltweit zu verbessern. So konstatiert auch Diakon Michael Hommer, der die Fahrer in Gräfenhausen monatelang mit Lebensmitteln versorgt hat. Ein Spendenkonto, das die KAB Trier eingerichtet hat, hat dabei sehr geholfen.

Dieses Jahr hat mit Gräfenhausen I und II deutlich gemacht wieviel in Bezug auf menschenwürdige Arbeit im Argen liegt. Die Veranstaltung am 7. Oktober 2023 hat gezeigt, dass es viele gute Ansätze gibt, aber vorbei ist hier noch lange nichts. Die Fahrer sind zunächst mal zu Hause, sie haben Geld erhalten, aber längst noch nicht alles was ihnen zustand.

Arbeitsausbeutung verhindern – was wir fordern
Wir, die KAB und die Betriebsseelsorge fordern und werden zusammen mit der Arbeitskammer des Saarlandes, den Gewerkschaften und anderen demokratischen Netzwerken daran mitarbeiten, wo immer es möglich ist, dass

  • Politiker*innen sich der realen Lebenssituation von prekär Beschäftigten annehmen und mehr Gespräche auf Augenhöhe geführt werden.
  • die Zusammenarbeit der Gewerkschaften auf internationaler Ebene gestärkt wird und breite solidarisch-politische Netzwerke (wie in Gräfenhausen) politisch gehört werden.
  • dass Arbeitsrecht und geltender Mindestlohn eingehalten werden.

Wir fordern die Aufstockung von Personal und Ressourcen im Zoll, Aufsichts- und Kontrollbehörden etc. zur systematischen Ahndung bei Rechtsbruch.

Wir fordern ein an Menschenwürde und Nachhaltigkeit orientiertes Lieferkettengesetz und die Verbindlichkeit der Einhaltung.

Wir appellieren an die Parteien, die sich der Demokratie verpflichtet wissen, sich klar gegen jegliche Form der Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit abzugrenzen, denn: Menschenrecht und Menschenwürde gelten jedem Menschen und kennen keine Grenzen.

Wir als Kirche in der Arbeitswelt leben und unterstützen aktiv den solidarisch-politischen Auftrag der Kirchen.

Dank an alle solidarisch Aktiven
An dieser Stelle gilt es einen großen Dank auszusprechen an die Menschen, die am 7. Oktober 2023 dabei waren um die Situation in Gräfenhausen besser einzuordnen, aber auch Edwin Atema und seinem Team von der RTDD (eine Stiftung des niederländischen Gewerkschaftsbundes), die tagelang bei den Männern in Gräfenhausen waren und einen großen Anteil daran haben, dass der Hungerstreik und später der ganze Streik beendet werden konnte. Den Gewerkschaften, die mobilisiert, unterstützt und Spendenaufrufe gemacht haben. Den vielen Menschen, die Tonnen Lebensmittel besorgt, gekauft und nach Gräfenhausen gebracht haben, die sich der Menschen wahrhaftig angenommen haben, die ihre Sonntage in Gräfenhausen verbracht haben, Männer zum Arzt gefahren haben und Dauerschleifen zwischen Gräfenhausen Ost und West gezogen haben. Und all den vielen, die im Hintergrund gewirbelt haben. Allen voran aber den Fahrern der Firma Mazur, die uns die Augen geöffnet haben, dass es so wie es ist nicht bleiben kann.

Gräfenhausen III darf es nicht geben (müssen)!!!

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